Das Oberlandesgericht Köln ist aus dem "Rheinischen Appellationsgerichtshof zu Cöln" hervorgegangen, den Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, durch Kabinettsorder vom 21. Juni 1819 gegründet hat. Die am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Justizgesetze des neuen Reiches haben zu der heutigen Behördenbezeichnung "Oberlandesgericht" geführt.

Der frühere Kölner Appellhof hatte eine einzigartige Stellung unter den preußischen und wohl auch überhaupt unter den deutschen Gerichten. Sein Bezirk umfasste den wesentlichen Teil der preußischen Provinzen Kleve - Jülich - Berg und Niederrhein, die 1822 zur Rheinprovinz mit Oberpräsidialsitz in Koblenz zusammengefasst wurden. Ausgenommen war nur eine der westfälischen Gerichtsorganisation zugewiesene Nordostecke mit den Kreisen Rees, Essen und Duisburg. Dieses Gebiet war bis 1806 preußisch gewesen und 1814 sofort wieder mit dem preußischen Recht versehen worden. Noch heute bewahrt es als Bestandteil des Oberlandesgerichtsbezirks Düsseldorf seinen Sonderstatus dadurch, dass hier nicht das aus dem französischen Rechtskreis stammende Nur-Notariat, sondern das Anwaltsnotariat preußischer Prägung herrscht.

Sieht man von diesem und einem weiteren Sonderbezirk ab, so umfasste der sogenannte Sprengel des Rheinischen Appellationsgerichtshofs das ganze rheinische Land von Kleve und Emmerich bis Saarbrücken. Er war flächengrößer als jedes der beiden Königreiche Württemberg und Sachsen und hatte mehr Einwohner als Bayern.

Die Bezirke

Die Bezirke der dem Appellhof nachgeordneten Landgerichte deckten sich - mit zwei Ausnahmen - mit den zunächst sechs preußischen Regierungsbezirken Trier, Koblenz, Köln, Aachen, Düsseldorf und Kleve. Weil diese Bezirke sich für die Postkutschenzeit als zu weiträumig erwiesen, kamen später nach jeweils langen Auseinandersetzungen in den gewinnend und verlierend betroffenen Gebietsteilen die Landgerichte Elberfeld (1834), Saarbrücken (1835) und Bonn (1850) hinzu. Entsprechend den schon an den Notwendigkeiten moderner Wirtschaft orientierten Grundsätzen der französischen Gerichtsverfassung entstanden in Industrie- und Handelsstädten wie Köln, Aachen und Krefeld kaufmännisch besetzte Handelsgerichte sowie paritätisch mit Meistern und Gesellen besetzte Gewerbegerichte, die Vorläufer der heutigen Kammern für Handelssachen und der Arbeitsgerichte.

Mit den Streitfällen des täglichen Lebens und den strafrechtlichen Übertretungen befassten sich die Friedensrichter in den Landkreisen und Stadtsektionen, die von den damals drei Staatsexamina nur die beiden ersten brauchten. Bei allen Gerichten mit Ausnahme der Friedens-, Handels- und Gewerbegerichte bestand das Öffentliche Ministerium, die Vorläuferbehörde der heutigen Staatsanwaltschaft, der neben der Strafverfolgung die gesamte Justizverwaltung und die Wahrung des öffentlichen Interesses in allen Prozessarten oblag. Schwere, als Verbrechen eingestufte Strafsachen gingen nicht an die "Zuchtpolizeikammer" (Strafkammer) des Landgerichts, sondern an das beim Appellationsgerichtshof zusammentretende Schwurgericht. Hier entschieden zwölf aus den Kreisen der Höchstbesteuerten und Gebildeten ausgewählte Geschworene selbständig über die Schuldfrage, während die fünfköpfige Berufsrichterbank unter dem Vorsitz eines Appellationsgerichtsrats über das Strafmaß befand. Dieses alte Schwurgericht, das zu einem Idol des deutschen Liberalismus werden sollte, hatte natürlich seine Problematik, die dann auch Gegenstand künftiger Auseinandersetzungen wurde.

Der Rheinische Appellationsgerichtshof

Der Rheinische Appellationsgerichtshof, der über die Berufungen gegen die Zivilurteile der Land- und Handelsgerichte des Bezirks sowie durch seinen "Anklagesenat" über die Eröffnung von Schwurgerichtsverfahren entschied, war das höchste Gericht auf rheinischem Boden, aber nicht das höchste der rheinischen Gerichtsverfassung. Darüber gab es noch den Rheinischen Revisions- und Kassationshof in Berlin, der die Funktionen übernahm, die in der napoleonischen Zeit der Kaiserliche Kassationshof in Paris auch für die rheinischen Departements wahrgenommen hatte.

Das Ganze war eine komplette Projektion der französischen Rechtspflege auf die rheinpreußische. Es galten sämtliche fünf Gesetzbücher Napoleons mit dem Code civil als Herzstück. Die augenfälligsten Errungenschaften der darin kodifizierten Rechtsordnung waren diejenigen, die wir heute noch zu den Fundamentalien des Rechtsstaats zählen:

- Rechtsgleichheit aller Bürger vor Richter und Gesetz,
- richterliche Unabhängigkeit,
- Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Verhandlungen,
- Trennung von Gericht und Anklagebehörde,
- Laienbeteiligung an der Strafrechtspflege,
- gesetzlicher Schutz von Ehre, Leben und Eigentum.

Das alles war in Altpreußen trotz großer Fortschritte noch nicht so entwickelt. Dort hatten die Richter noch keine Garantien vor "Machtspruch"-Eingriffen in ihre Entscheidungen. Die höheren Gerichte wussten sich zwar inzwischen dagegen zu wehren, aber die armen Justitiare, die für die patrimonialen Gerichtsherren auf dem Land die Gerichtsbarkeit ausübten, waren hoffnungslos abhängig. Dazu kam die Exemtion, die den Adeligen und Staatsbeamten einen qualifizierteren Rechtsweg einräumte als dem "gemeinen Mann". Besonders unbefriedigend wirkte der geheime Aktenprozess, der zwar dem "deutschen Sinn für Gründlichkeit" entsprechen sollte (Justizminister von Kircheisen), aber dazu führte, dass der erkennende Richter selbst in Strafsachen statt des Beschuldigten nur ein totes Papier vor sich sah. Das Fehlen einer besonderen Anklagebehörde schließlich machte den Strafprozess zu einem Inquisitionsprozess, der den Richter psychologisch überforderte. Zugleich war das im Allgemeinen Landrecht kodifizierte materielle Recht noch stark von einer ständisch-feudalen Lebensordnung geprägt, die das durch die Französische Revolution emanzipierte Rheinland längst hinter sich gelassen hatte.

Indem ganz Deutschland die tragenden Grundsätze des Rheinischen Rechts rezipierte, verlor es gewissermaßen seine Identität. Die Rheinprovinz hatte durch die Weitervermittlung der von Frankreich übernommenen Rechtsgrundsätze eine historische Aufgabe erfüllt. In der Nacht zum 1. Januar 1900 war sie endgültig abgeschlossen; denn da löste das Bürgerliche Gesetzbuch, ein klassisches Werk des Liberalismus, den Code civil als letztes der französischen Gesetzeswerke in der Rheinprovinz bis auf einige nachbarrechtliche Bestimmungen ab. Es war eine melancholische Stunde; denn die Provinz hatte jetzt nichts Besonderes mehr.

Inzwischen stand man nicht mehr am Beginn des Industriezeitalters, sondern mittendrin. Dampfschiffe belebten den Rhein und verdüsterten ihn manchmal mit ihren Rauchwolken. Eisenbahnzüge rollten auf seinen Ufern und weit in die Ferne. Fabrikschlote reckten sich gen Himmel. Die Stadt Köln hatte sich ihres mittelalterlichen Mauerrings entledigt und war weit ins Land gewachsen. Das Leben hatte sich ungemein intensiviert, und auch die Justiz war in den Sog der großen Zahlen geraten. Nachdem das Oberlandesgericht Köln nicht mehr das Obergericht einer großen Rechtsprovinz war, konnte man zu seiner dringend notwendigen Entlastung den großen Bezirk teilen. Er verlor 1906 die Landgerichtsbezirke Düsseldorf, Elberfeld und Kleve an das neugebildete Oberlandesgericht Düsseldorf. Gewissermaßen zum Trost erhielten die Kölner ein neues palastartiges Justizgebäude am Reichenspergerplatz (1907-1911). Seitdem war bis 1981 die Kölner Ziviljustiz am Reichenspergerplatz und die Strafjustiz am Appellhofplatz konzentriert.

Der Verlust des Ersten Weltkrieges verkleinerte den Oberlandesgerichtsbezirk um einige Teile des Landgerichtsbezirks Aachen und um den Landgerichtsbezirk Saarbrücken, der mit dem gesamten Saargebiet für 15 Jahre einer Völkerbundskommission unterstellt wurde. Die Saarabstimmung vom 13. Januar 1935 brachte das Saargebiet zurück. Jedoch fiel der Landgerichtsbezirk Saarbrücken am 1. Januar 1938 an das Oberlandesgericht Zweibrücken.

Inzwischen hatte der deutsche Staat die Bahnen der Rechtsstaatlichkeit verlassen. Geradezu symbolhaft für diese Wende war der Sturm auf das Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz, den SA und SS am 31. März 1933 unternahmen, um alle jüdischen oder auch nur "jüdisch aussehenden" Juristen festzunehmen und auf offenen Müllwagen durch das Spalier der johlenden Menge zum Polizeipräsidium zu transportieren. Es folgte die offizielle "Säuberung", bei der nur mit Rücksicht auf den noch lebenden Hindenburg die Frontkämpfer unter den Juden vorübergehend geschont wurden. Dem Gesetz mit dem verlogenen Titel "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" fielen aber auch sämtliche Gerichtspräsidenten des Bezirks mit Ausnahme des ohnehin zur Pensionierung anstehenden Aachener Landgerichtspräsidenten zum Opfer. Sie wurden entweder in den Ruhestand oder in ein rangniederes Amt versetzt.

Mit politischen Strafsachen hatte das Oberlandesgericht nichts zu tun, da die vom Volksgerichtshof an das Oberlandesgericht abgegebenen Hoch- und Landesverratssachen für die Rheinprovinz und die Provinz Westfalen in Hamm konzentriert waren. Auch im Wege der Revision kam nichts Politisches an das Oberlandesgericht, weil die politischen Sachen bei den Sondergerichten anhängig wurden, gegen deren Entscheidungen es keine Rechtsmittel gab. Mitunter hatten allerdings Strafsachen aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität infolge der von der Partei betriebenen Propaganda faktisch politischen Charakter. Hierzu gehörten die an den Strafsenat gelangenden Haftbeschwerden von katholischen Ordensangehörigen in Sittlichkeits- und Devisensachen. Das führte zu einem Eklat, als der Strafsenat im Jahre 1936 mehrere Haftbefehle in Sittlichkeitssachen aufhob und der Gestapo, die anstelle der an sich zuständigen Kriminalpolizei die Ermittlungen geführt hatte, Punkt für Punkt die gröbsten Verstöße gegen die Strafprozessordnung zur Last legte. Im Hinblick auf Zahl und Schwere der festgestellten Gesetzesverstöße beschloss der Senat, die Akten dem Reichsjustizminister vorzulegen. Kurze Zeit später traf ein Eilkurier des Ministeriums ein, der unter Androhung eines Landesverratsverfahrens gegen die beteiligten Richter die Vernichtung der Beschlüsse und die Anfertigung "entschärfter" Fassungen unter Beibehaltung der Ergebnisse erzwang. Dieser Fall ist wohl der einzige, in dem ein Gericht die Gestapo so rücksichtslos kritisiert hat. Die Folge war, dass der Strafsenat aufgelöst und anderweitig besetzt wurde.

Zurück zur Geschichte des Oberlandesgerichts und seines Bezirks: Die landschaftlich so schönen Landgerichtsbezirke Koblenz und Trier zu verlieren, wäre besonders schmerzlich gewesen, wenn nicht die Zeitereignisse um 1945 andere und vitalere Sorgen in den Vordergrund gerückt hätten. Die Justiz indessen verhielt sich wie der mythische Phönix, der aus der Asche steigt. Das im November 1946 errichtete Oberlandesgericht Koblenz übernahm die Landgerichtsbezirke Koblenz und Trier. Das Oberlandesgericht Köln behielt die arg verwüsteten Landgerichtsbezirke Köln, Bonn und Aachen.

Nach rund einem halben Jahrhundert sah es anders aus. Köln war wieder eine Großstadt mit brausendem Leben, und der Oberlandesgerichtsbezirk hatte mit fast vier Millionen Einwohnern über eine halbe Million mehr als 1939, bevor die Landgerichtsbezirke Koblenz und Trier abgetrennt wurden. Die Menschen sind also enger zusammengerückt. Zum Glück verteilen sie sich nicht gleichmäßig über das Land. Es gibt noch weite und einsame Eifeltäler, und die räumliche Enge ist als streitbegünstigender Faktor weniger schlimm als die geistige.

Der Rheinische Appellationsgerichtshof hat 1819 mit 26 Richtern begonnen. Heute hat das Oberlandesgericht Köln 121 Richter (davon 35 Frauen). Sie sind tätig in 27 Zivilsenaten, von denen 7 zugleich mit Familiensachen, einer mit Landwirtschaftssachen und einer mit Binnenschifffahrtssachen befasst sind. Daneben bestehen ein Senat Baulandsachen, ein Senat für Notarsachen und ein Senat für Kartellsachen. Die Strafsachen werden von 2 Strafsenaten, die zugleich Senate für Bußgeldsachen sind, bearbeitet.

Mit seinem gegenwärtigen Personalbestand findet das Oberlandesgericht - ebenso wie die Generalstaatsanwaltschaft - hinreichend Platz in dem neubarocken Justizpalast am Reichenspergerplatz, aus dem 1981 alle anderen Justizbehörden mit Ausnahme der Freiwilligen Gerichtsbarkeit des Amtsgerichts ausgezogen sind. Das Oberlandesgericht arbeitet gut und effektiv. Unsere Berufungsverfahren dauern durchschnittlich erheblich weniger als ein Jahr und führen oft zu Entscheidungen, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung haben. In der Rechtsprechung dokumentiert sich die hohe Qualität der Kölner Richter. Sie beruht auf der am Leistungsprinzip orientierten Personalpolitik in der Justiz, die im Kölner Bezirk wegen der großen Juristenfakultäten in Köln und Bonn besonders gute Auslesemöglichkeiten vorfindet. Auch die beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwälte haben hohen Anteil an der Qualität dieser Rechtsprechung.

Nach der Wiedervereinigung hat Nordrhein-Westfalen vor allem Brandenburg beim Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen unterstützt. Die Brandenburger, die seit 1933 in totalitären Herrschaftssystemen leben mussten und nach dem Kriege auch die materiellen Früchte ihres Fleißes nur in viel zu geringem Maße ernten konnten, haben trotz anfänglicher Verständigungsschwierigkeiten unsere Hilfe begrüßt. Kölner Richter, Rechtspfleger und Verwaltungsbeamte hatten an dieser Hilfe großen Anteil. Einige von ihnen sind in Brandenburg geblieben; der größere Teil ist - um wertvolle Erfahrungen reicher - zurückgekehrt oder wird dies demnächst tun. Das Rheinland und das Kernland Preußen sind sich einmal mehr begegnet und haben sich gegenseitig befruchtet.

(Gekürzte Fassung aus "175 Jahre Oberlandesgericht Köln", 1994,

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